Ein Film über das Scheitern eines Filmers: «Wintergast» ist eines der originellsten Debüts seit Jahren. Andy Herzog und Matthias Günter über die Arbeit ohne fixes Drehbuch und mit wenig Geld.
Die Standardfrage bei Erstlingswerken zielt auf den autobiografischen Anteil des Plots. Beim Film «Wintergast» liegt sie auf der Hand: Der eine der beiden Regisseure und Drehbuchautoren, der 43-jährige Andy Herzog, spielt darin die Hauptrolle. Einen nicht mehr ganz jungen Filmschulabsolventen, der für einen Kurzfilm den Schweizer Filmpreis erhalten hat. Eine Produzentin bietet ihm an, einen Spielfilm zu drehen. Doch fünf Jahre später ist nichts da – nur eine dürre Idee und ein Titel. Der Filmer bekommt eine letzte Frist und geht als Tester von Jugendherbergen auf die Reise durch eine winterliche Schweiz. So hofft er, Inspiration und Klarheit über das Verhältnis zu seiner Lebenspartnerin zu finden, die eine «Beziehungspause» verlangte.
Andy Herzog war 2009 tatsächlich an einem Kurzfilm beteiligt, der ausgezeichnet wurde. In Nicolas Steiners «Ich bin’s, Helmut» spielte er eine Hauptrolle. «Als Schauspieler hatte ich meinen Platz gefunden», sagt er. «Nebenbei realisierte ich Kurzfilme, aber irgendwie kam ich nicht voran.» 2006 machte er eine Regieausbildung in Montreal. Bei der Rückkehr in die Schweiz habe er ein ähnliches Grundgefühl verspürt wie die Hauptfigur in «Wintergast», sagt Herzog. «Ich wurde mir bewusst, wie viele Kontakte ich verloren hatte. Ich hatte in Montreal viel gelernt, hatte Ideen. Doch meinem Traum, einen langen Spielfilm realisieren zu können, war ich ferner als zuvor.»
Herzog und Günter lernten sich 2008 an einem «Talent Screen» der Gessnerallee kennen. «Winterthur», der Titel des dort entstandenen Films, der in 72 Stunden realisiert werden musste, weist schon auf den jetzigen Langspielfilm hin. Damals lernten die beiden Kaya Inan kennen, der in «Wintergast» als Cutter-Supervisor mitwirkte. Bereits früher hatten sie Kontakt mit dessen Bruder, dem Regisseur Cihan Inan, dem Mentor der Hauptfigur in «Wintergast». Neben ihm wiederum ist Michael Neuenschwander mit von der Partie, ein bekanntes Gesicht der Schweizer Filmszene.
«Wintergast» ist also klassisches «cinéma copain». Auch bekannte Namen arbeiteten unentgeltlich. Herzog und Günter realisierten ihr Projekt ohne finanzielle Sicherheit. Bereits im Winter 2012 drehten sie in weitgehend frei improvisierten Szenen. «So hatten wir grosse Freiheit», sagt Günter, und Herzog fügt hinzu: «Aber so zu arbeiten, ist nicht jedermanns Sache. Das läuft auf Selbstausbeutung hinaus. Fördergelder beantragten wir erst für die Postproduktion.» «Cinéma copain» klinge romantisch, doch die Wirklichkeit sei alles andere als das, sind sich beide einig.
Ein kleiner Auftritt in «Wintergast» gilt einem grossen Namen des Schweizer Films. In einer knapp zwanzig Sekunden dauernden Szene ist als Restaurantgast Christian Schocher zu sehen. Vor 35 Jahren schuf er mit «Reisender Krieger» einen für die Schweizer Filmgeschichte emblematischen Film. Herzog und Günter sind begeistert von dem eigenwilligen Werk über einen traurigen Handelsreisenden. Sie hätten mit Schocher lang über seine Arbeit gesprochen, erzählen sie. Auch er arbeitete ohne fixes Drehbuch. Ist «Wintergast» eine Hommage an Schochers ebenfalls schwarz-weisses Roadmovie? Nein, sagen beide. Ihre Arbeitsweise sei ähnlich, aber sie hätten einen anderen Ansatz. Es sei ihnen nicht darum gegangen, «Reisender Krieger» zu wiederholen. Sondern darum, eine persönliche komische Geschichte über eine Lebenskrise zu erzählen.
«Wintergast» läuft in Zürich im Kino Houdini 1.