Raphael Amstutz, Bieler Tagbatt
Biel Ab Freitag ist im Filmpodium «Wintergast» zu sehen. Das lakonische Werk realisiert haben Matthias Günter und Andy Herzog. Günter, der sich in Biel zum Grafiker ausbilden liess, spricht über Krisen, die Zeit in Biel und Improvisation.
Matthias Günter, wie ist die Idee entstanden, einen Menschen mit Schreib-stau, Liebeskummer und vielen ungelösten Fragen auf die Reise durch die Schweiz zu schicken?
Matthias Günter: Sowohl Andy Herzog wie auch ich sind mit unseren damaligen Filmprojekten ins Stocken geraten. Ebenfalls bekamen wir in unserem nächsten Bekanntenkreis mit, wie zerstörerisch sich eine Schaffenskrise auf das Leben auswirken kann. Was mit einem alltäglichen Aufschieben beginnt, kann in Verbindung mit zu hohen Selbstansprüchen in der kompletten Lebensblockade enden. In unserem Film erzählen wir die Geschichte einer solchen Blockade und deren Folgen und begegnen dem schweren Thema mit Selbstironie. Um den inneren Konflikt des Protagonisten sichtbar zu machen, schicken wir ihn auf eine Reise und zwingen ihn somit, sich seinen Problemen und Ängsten zu stellen. So entstand die Idee mit dem rei-senden Jugenherberge-Tester.
Der Film ist wie von Ihnen erwähnt in einer Co-Regie realisiert worden. Wie kann man sich das Miteinander – und vielleicht manchmal auch Gegeneinander – vorstellen?
Gerade bei dieser unkonventionellen und offenen Herangehensweise war es für uns sehr hilfreich, ein kritisches Gegenüber zu haben. Von der ersten Besprechung bis zum Feinschnitt standen Andy Herzog und ich in einem engen Dialog, bei dem wir jeweils das überzeugendste Argument gelten liessen. Die Schwierigkeit bei dieser Zusammenarbeit lag darin, Kompromisse einzugehen, ohne die Geschichte zu verwässern. Da wir aber einen ähnlichen Sinn für Humor haben und die gleiche Vision verfolgten, war die Zusammenarbeit sehr konstruktiv.
Im Zusammenhang mit «Wintergast» wird immer wieder Christian Schochers «Reisender Krieger» erwähnt. Wie wichtig war Schocher für Ihren Film?
Wir haben den «Reisender Krieger» un-abhängig voneinander gesehen und wa-ren davon fasziniert. Die relativ einfache Machart ermutigte uns, mit einer ähnli-chen Herangehensweise einen Film zu drehen. Allerdings liessen wir uns für «Wintergast» von unseren persönlichen Erlebnissen und dem vorgefundenen All-tag auf unserer Reise inspirieren.
Sie haben an der Schule für Gestaltung in Biel die Ausbildung zum Gra-fiker gemacht und auch auf diesem Gebiet gearbeitet. Lässt es sich mit diesem Hintergrund einfacher Filme machen?
Wie wir in «Wintergast» zeigen, ist das Filmemachen nie einfach, egal welchen Hintergrund man hat. Die Zeit an der Schule für Gestaltung in Biel war jedoch aus künstlerischer Sicht für mich sehr prägend. Besonders geschätzt habe ich den Vorkurs bei Edi Aschwanden. Die medial sehr breit ausgelegte Ausbildung war eine gute Schulung der Aufmerksam-keit. Die Aufmerksamkeit ist für mich die Basis jeder Kunstform und somit auch vom Filmemachen. Meine spätere Tätigkeit in der Webebranche hat mir in der Rolle als Produzenten Vorteile verschafft.
«Wintergast» erscheint wie ein Dokumentarfilm. Wie viel wurde tatsächlich improvisiert, wie gross ist der Anteil an geschriebenen Szenen?
Sehr viel Zeit im Schnittraum verbrach-ten wir damit, genau diese Grenze zwi-schen dem real Vorgefundenen und den inszenierten Szenen aufzulösen. Allerdings kann man dazu sagen, dass die Szenen fast ausnahmslos improvisiert sind und erst im Schnitt zu einer narrativen Struktur verdichtet wurden. Die Schwie-rigkeit bei dieser Herangehensweise lag darin, bei den inszenierten Szenen die gleiche Authentizität zu erreichen wie bei den realen Begegnungen.
«Wintergast»: Nicht verpassen
Stefan Keller war mal ein umjubelter Regisseur – sein Abschlusswerk an der Filmschule ein Erfolg. Nun aber will nichts mehr gehen: Keller hat eine üble Schreibblockade – und die Beziehung mit Christina ist auch am Ende. Schliesslich ist er gezwungen, einen Job anzuneh-men. Keller wird zum Jugendherberge-Tester und reist durch die winterliche Schweiz. «Wintergast» sollte man nicht verpassen: Eine Bestandesaufnahme der schweizerischen Befindlichkeiten – witzig, sperrig und sehr gelungen im Verwischen von Realem und Fiktionalem. raz