Heinrich Weingartner, 041- Das Kulturmagazin
34 Jahre nach dem Schweizer Kultfilm «Reisender Krieger» zieht erneut ein Suchen-der durch die Schweiz und testet diesmal Jugendherbergen. «Wintergast» ist aber nicht Imitation, sondern Hommage und definitiv Update.
Der junge Zürcher Filmemacher Stefan Keller (Andy Herzog, auch Co-Regisseur) leidet an einer Schreibblockade. Fünf Jahre, nachdem er Preise für seinen Kurzfilm «Über dem Berg» gewonnen hat, ist er in einer leidigen Schaffenskrise. Er hat zwar einen Projektvertrag mit einem tollen Studio in der Tasche – das Problem dabei: Es muss bald, sehr bald ein Treatment her. Stefan will den perfekten Film drehen. Etwas Neues, Frisches, noch nie Dagewesenes. Weil ihm aber die Miete für die Wohnung fehlt und seine Freundin ein Kind und finanzielle Sicherheit will, bewirbt er sich für einen Not-Job als Jugendherbergetester. Stefan zieht durchs Land, nimmt mit weissen Latexhandschuhen den angesetzten Staub in Bündner, Berner, Luzerner, Westschweizer Zimmern auf und macht flüchtige Bekanntschaften. Meist interessan-te, aber auch mal unangenehmere. Das einzig Beständige – und das Einzige, was ihn mit seinem Zuhause verbindet – sind die Telefonate mit seiner Freundin Christina, die ihn stets daran erinnert, dass sie doch eine Auszeit vereinbart hätten. Und die zwei Zeilen auf Stefans MacBook wollen und wollen einfach nicht länger werden. Mit ihrem Debüt «Wintergast» zeigen der Zürcher Andy Herzog und der Berner Matthias Günter einen Querschnitt durch eine kleine, enge, graue und doch gastfreundliche Schweiz. Stefan Keller ist ein Odysseus wie Willy Ziegler es 1981 in Christian Schochers CH-Roadmovie war; es sind dieselben wunderschönen und passenden Schwarz-Weiss-Ansichten, in die Kellers Reise getaucht ist. Und mit einer subtilen, ruhigen Filmsprache wird die gleiche Schweiz wie damals gezeigt: ein bürokratisiertes Fleckchen, überall ein bisschen heimelig und doch unheimlich. Eine Zwischenwelt, in der sich die meisten Menschen fremd fühlen, aber es niemand zugibt. Das Einzige, was das Leben lebenswert macht, sind die Menschen, auf die wir treffen, und ihre Geschichten. Die ungemein präzise gezeichneten Figuren in «Wintergast» machen diesen Zustand fassbar. Parallelen zu «Reisender Krieger» sind überdeutlich; trotzdem ist «Wintergast» kein blosser Abklatsch, weil er seinen eigenen Drive findet und niemals seinem Idol hinterherrennen will. Und der Film ist zuvorderst auch ein kurzweiliger, feiner Film über Prokrastination. Ein Thema, das vielen wohlbekannt ist. Sehr empfehlenswert!
Wintergast, Regie: Andy Herzog und Matthias Günter,
ab 17. Dezember, Stattkino (1. Dezember: Vorpremiere mit den Regisseuren)