Hans Jürg Zinsli, Berner Zeitung
Im Berner Spielfilm «Wintergast» reist ein scheiternder Filmer quer durch die Schweiz. Jetzt tourt dieses Filmbijou im Rahmen des Berner-Filmpreis-Festivals durch den Kanton.
Stefan Keller hat Glück. Mit seinem Kurzfilm gewinnt er nicht nur den Schweizer Filmpreis 2007, sondern bekommt auch einen Vertrag für seinen ersten Spielfilm angeboten. Dann passiert allerdings nicht mehr viel. Der hochgelobte Jungfilmer verheddert sich in seinem Drehbuch. Und als nach fünf Jahren das Geld knapp wird, nimmt er einen Nebenjob als Jugendherberge-Tester an, um zur alles andere als besinnlichen Vorweihnachtszeit kreuz und quer durch die Schweiz zu reisen.
Klingt vertraut? Tatsächlich hat die Schreibblockade dieser Filmfigur autobiografische Hintergründe: Sowohl der Berner Regisseur und Kameramann Matthias Günter als auch der in Zürich aufgewachsene Regisseur und Schauspieler Andy Herzog kamen einst bei ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm ins Stocken. Die Filmemacher gaben jedoch nicht auf, sondern entschlossen sich, ihre Blockaden zur Basis eines neuen Projekts zu machen. Der Titel: «Wintergast».
Jenseits der Postkartenidylle
In diesem Spielfilm verkörpert Co-Regisseur Herzog jetzt den Herberge-Tester Keller, der zwischen Basel und Fiesch, zwischen Lugano und Bern mehr oder minder obskuren Gestalten begegnet, seine Beziehung und seinen Film zu retten versucht und auf allen Ebenen scheitert.
Es ist eine Odyssee mit grosser Schweizer Tradition, die in «Wintergast» erzählt wird: 1979 hatte der Bündner Christian Schocher mit «Reisender Krieger» ein Opus magnum im Billigstil gedreht, das bis heute als einer der verrücktesten und kultigsten Schweizer Filme gilt. Schocher und sein Berner Kameramann Clemens Klopfenstein liessen damals einen Parfümvertreter namens Krieger durch eine in Beton erstarrte Schweiz reisen.
Krieger, verkörpert vom Laiendarsteller Willy Ziegler, wurde zum Inbegriff eines Scheiternden jenseits der schweizerischen Postkartenidylle. Drei Jahre später doppelten Klopfenstein und Remo Legnazzi mit einem frustrierten Nachrichtensprecher in «E nachtlang Füürland» nach.
Mal tragisch, mal komisch
Vieles von diesen Werken kann man auch in «Wintergast» wiederfinden. Die Betonschweiz ist diesmal vor allem aus Zug und Postauto zu bestaunen. Als Zugabe werden Aufenthaltsräume und Kaffeeautomaten sonder Zahl gereicht. Und da sind jede Menge Zufallsbegegnungen, die sowohl der orientierungslosen Hauptfigur wie auch dem Film als Erzählmotor dienen. Mal mit tragischem, mal mit komischem Effekt, etwa wenn sich Keller von einem Mann in einer Berner Bar erklären lässt, weshalb dieser keinen Schlaf und also auch keine Wohnung brauche.
Mag sein, dass «Wintergast» nicht ganz an die Klasse der früheren Kultfilme herankommt. Während Schochers «Reisender Krieger» im Original über drei Stunden dauert, endet der Film von Günter und Herzog schon nach 82 Minuten. Dennoch ist «Wintergast» eine wunderbare Hommage. Das wird spätestens dann klar, als man Schocher in einem Restaurant in Pontresina sitzen sieht. Schocher spricht nicht, er liest Zeitung. Und damit ist im Grunde alles gesagt.