Der Film: Ein erfolgreicher Kurzfilmregisseur will sein erstes Kinoprojekt realisieren. Er hat eine Geschichte um zwei vertauschte Koffer im Kopf, aber sonst gar nichts. Dazu kommt, dass er den Mietzins nicht mehr zahlen kann, seine Freundin eine «Auszeit» fordert und der Vater den Geldhahn endgültig zudreht.
007-Faktor: Was macht Bond, wenn nichts mehr geht? Er reist herum. Das tut auch der von Co-Regisseur Andy Herzog gespielte Drehbuchautor. Er testet in geheimer Mission Jugendherbergen in der ganzen Schweiz. Begegnet dabei zahlreichen komischen Vögeln. Und stapft durch den Schnee wie 007 in Österreich.
Besser als Bond: Dieser «Wintergast» hat Nerven aus Stahl. Seine Chefin – nein, sie heisst nicht M – setzt ihn enorm unter Druck. Aber er lässt sich nicht beeindrucken. Nimmt die weissen Handschuhe hervor. Und prüft stoisch, ob es Staub auf den Regalen seiner Unterkunft hat. Bond hätte längst die Geduld verloren und alles in die Luft gesprengt. (ab 5. 11. in Zürich, weiterhin in Bern und bald auch in andern Schweizer Städten)
NZZ am Sonntag
Andy Herzog und Matthias Günter (Drehbuch und Regie) haben mit ihrem in makellosem Schwarz-weiss gefilmten Erstling ein vor Witz und Selbstironie strotzendes Kabinettstück geschaffen.
Ein Schweizer Filmregisseur, Typ ewiger Jungfilmer, hat eine Krise. Seine Beziehung ist am Ende, mit dem Drehbuch für den ersten Spielfilm harzt es, und Geldsorgen plagen ihn. Zur Milderung Letztgenannter nimmt er einen Job als Tester von Jugendherbergen an. In der Woche vor deren Winterpause reist er durch eine eisgraue Schweiz und hofft, bei dieser Odyssee sein Filmprojekt doch noch voranzubringen – mit einer aufsässigen Filmproduzentin im Nacken und einer sich immer weiter entfernenden Freundin im Herzen. Inspiriert durch «Reisender Krieger» von Christian Schocher, der in einer Szene leibhaftig auftaucht, haben Andy Herzog und Matthias Günter (Drehbuch und Regie) in ihrem in makellosem Schwarz-Weiss gefilmten Erstling, für den der eine zudem als Kameramann und der andere als Hauptdarsteller agiert, ein vor Witz und Selbstironie strotzendes Kabinettstück geschaffen, das im derzeitigen Schweizer Kino beispiellos ist.
★★★★★ Kino Houdini in Zürich.
Regula Fuchs, Der Bund
(…) Jetzt ist er selber gestrandet, dieser Film über einen Filmer in der Sackgasse, in dem Andy Herzog und Matthias Günter so wunderbar auf den Punkt bringen, wie der Wille zur Perfektion eine Künstlerseele verstopfen kann. In «Wintergast» geht es um Stefan Keller, einen jungen Regisseur, dessen Karriere einst fulminant zündete und der bereits mit seinem ersten Kurzfilm den Schweizer Filmpreis gewann – um danach Vollgas in die Sackgasse zu rasseln.
Dort hockt er nun, in einer trüben Wohnung, mit Mietschulden und 2000 Drehbuchseiten, aus denen nichts Gescheites herausschaut. Seine Freundin nimmt gerade eine Auszeit von der Beziehung, und seine Produzentin droht, das unfertige Filmprojekt zu versenken. Da entschliesst sich Keller, einen Job als Jugendherbergstester anzunehmen, und so beginnt eine winterliche Schweiz-Reise, schön melancholisch gefilmt in Nebelgrau, Schmutzigweiss und Trübschwarz.
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen – nicht so im Fall von Stefan Keller, und das ist das Bestechende an «Wintergast»: Kellers Reise ist ein Treten an Ort, eine ziellose Odyssee im Reich der ewiggleichen Etagenbetten, Mehrbettzimmer und entseelten Gemeinschaftsräume. Auch aus den Begegnungen mit den Menschen (es sind teilweise dokumentarische Szenen), entspringt letztlich nichts: Der Cursor in seinem Worddokument blinkt weiterhin nur blöde vor sich hin, während Keller sich einen Kaffee aus dem Automaten holt oder «relevante Themen» googelt. Prokrastination nennt man das, und «Wintergast» ist eine exquisite Verbildlichung des Phänomens. (…)